09.07.2019
Erster europäischer ADPKD-Kongress: Zusammenfassung
Vor kurzem fand der erste europäische ADPKD-Kongress für PatientInnen und Fachpersonen in Brüssel statt. 54 Teilnehmende aus 15 Ländern diskutierten in zwei Plenums- und 6 Breakout-Sessions verschiedenste Aspekte rund um ADPKD. Als Grundlage und «roter Faden» diente der interaktive ADPKD-Patientenleitfaden.
Die Folien und Videos der Sessions sind mittlerweile verfügbar auf der Website von PKD International. Für unsere Mitglieder haben wir die wichtigsten Inhalte zusammengefasst:
Plenums-Session 1: Entwicklungen im internationalen ADPKD-Umfeld
Albert Ong, Professor für Nierenheilkunde an der Universität Sheffield und Gründungsmitglied des European ADPKD Forum (EAF), berichtete über einen wichtigen Erfolg des PKD Outcomes Consortium. So konnte das PKDOC bei den Arzneimittelbehörden FDA und EMA die Zulassung des totalen Nierenvolumens (rechte + linke Niere [englisch «total kidney volume» = TKV]) als prognostischen Biomarker erreichen. Prognostische Biomarker liefern Hinweise auf den zu erwartenden individuellen Verlauf der Erkrankung.
Djalila Mekahli, Assistenzprofessorin für pädiatrische Nephrologie am Universitätsspital Löwen, Belgien, und Mitglied des EAF, beleuchtete in ihrem Input-Referat die Rolle von ADPK bei pädiatrischen PatientInnen. So gebe es durchaus Kinder, bei denen ADPKD bereits früh Symptome zeige. Auch könne es in bestimmten Fällen hilfreich sein, mit dem Verlauf von ADPKD assoziierte Symptome wie Bluthochdruck und Proteinurie frühzeitig zu behandeln. Um Erkenntnisse zu ADPKD bei pädiatrischen PatientInnen zu sammeln, hat Djalila Mekahli im Juli 2017 das ADPedKD-Register ins Leben gerufen, in dem derzeit Daten von ca. 460 PatientInnen zusammengefasst sind.
David Baron, Chief Scientific Officer der PKD Foundation, USA, präsentierte die Ergebnisse der SONG-PKD-Studie, in der gut 1000 ADPKD-PatientInnen und -Fachpersonen nach für sie wichtigen Themen rund um ADPKD befragt wurden. Zu den wichtigsten Themen gehören Nierenfunktion, Mortalität, Zystenschmerzen und kardiovaskuläre Erkrankungen. Die Resultate der SONG-Studie sollen u. a. als Orientierungshilfe für zukünftige Studien dienen, um sicherzustellen, dass Themen adressiert werden, die für PatientInnen wichtig sind.
Breakout-Session 1: Selbstversorgung und Risikominimierung
Tevfik Ecder, Professor für Nephrologie am Florence Nightingale Hospital in Istanbul, erläuterte Risikofaktoren im Zusammenhang mit ADPKD. So können sich insbesondere Rauchen, erhöhte Salzzufuhr, Bluthochdruck und Übergewicht negativ auf das Wachstum der Niere resp. die Abnahme der Nierenfunktion (und kardiovaskuläre Erkrankungen) auswirken. Als Empfehlung für die Salzzufuhr nannte Ecder 6 g Salz pro Tag. Die Umstellung der Ernährung sei eine Herausforderung, aber in der Regel würden sich die Geschmacksknospen innerhalb von 4-6 Wochen an die salzreduzierte Ernährung anpassen. Bei Bluthochdruck empfiehlt Tevfik Ecder eine regelmässige und sorgfältige Kontrolle.
Djalila Mekahli, Assistenzprofessorin für pädiatrische Nephrologie am Universitätsspital Löwen, Belgien, und Mitglied des EAF, betonte in ihrem Input-Referat, dass ADPKD bereits bei pädiatrischen PatientInnen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden müsse. Dabei läge die Verantwortung gleichermassen bei Eltern und Fachpersonen, die Kinder über die Krankheit aufzuklären. Insbesondere bei Bluthochdruck könne es sich günstig auf den Krankheitsverlauf auswirken, wenn dieser frühzeitig beobachtet und behandelt werde. Die Kinder seien überdies früh in sportlicher Betätigung zu ermutigen, wobei Sportarten mit starkem Körperkontakt eher zu vermeiden seien. Koffeinhaltige Getränke wie Coca Cola sollten nach Möglichkeit weggelassen werden, da Koffein das Zystenwachstum fördere. Mädchen empfiehlt Mekahli zudem, auf östrogenhaltige Verhütungsmittel zu verzichten, da Östrogen sich negativ auf das Wachstum von Leber-Zysten auswirke. Insgesamt sei eine multidisziplinäre Begleitung der Patientinnen das A und O.
Breakout-Session 2: Einschätzung des Krankheitsverlaufs
Ron Gansevoort, Nephrologe an der Universität Groningen, Niederlanden, erläuterte in seiner Session die Möglichkeiten, mit denen der Krankheitsverlauf eingeschätzt werden kann. So könne einerseits die Art der Gen-Mutation Aufschluss geben. Demzufolge hätten PatientInnen mit einer Mutation auf dem PKD2-Gen in der Regel eine bessere Prognose als PatientInnen mit einer Mutation auf dem PKD1-Gen.
Neben der Gen-Mutation könne auch die Familiengeschichte, das Körpergrösse adjustierte Nierenvolumen im Verhältnis zum Alter, die Nierenfunktion, das Alter, Geschlecht, bestimmte Symptome wie Bluthochdruck und Biomarker Aufschluss über den Krankheitsverlauf geben. Gansevoort betonte jedoch, dass all diese möglichen Indikatoren insgesamt nur 15% des Krankheitsverlaufs zu erklären vermögen.
Hilfreich könne auch der Pro-PKD-Score sein, der verschiedene klinische und genetische Faktoren berücksichtigt. Je höher der Pro-PKD-Score ausfalle, desto höher sei grundsätzlich das Risiko für eine schnelleren Verlauf der Erkrankung. Man dürfe aber auch hier nicht ausser Acht lassen, dass es bei ADPKD eine sehr hohe Variabilität gebe.
Wichtig sei, so Gansevoort, all diese Aspekte in einem integrierten Ansatz zu betrachten. Für die Zukunft wünscht sich Gansevoort, dass in der Fachwelt Konsens zur Einschätzung des Krankheitsverlaufs erreicht werde.
Breakout-Session 3: Leberzysten und Schmerzen bei ADPKD
Lucas Bernts, PhD-Kantidat an der Radboud-Universität in Nijmegen, Belgien, diskutierte in seinem Beitrag Beschwerden, die aus Leberzysten resultieren können, und erörterte Behandlungsmöglichkeiten. Gemäss Bernts haben ca. 90% aller ADPKD-Patienten Leberzysten. Die meisten verspüren keine Symptome, da meist nur eine einzige Leberzyste vorliegt oder mehrere kleinere.
Bernts sieht in Bezug auf Leberzysten drei Problembereiche:
- Grosse Zysten – Diese verursachen häufig Schmerzen, Völlegefühl und Kurzatmigkeit. Behandelt werden können grosse Leberzysten mit verschiedenen invasiven Möglichkeiten wie z. B. Aspirations-Sklerotherapie oder laparoskopische Fenestration.
- Grosse Leber (meistens bei polyzystischer Lebererkrankung) – Diese könne auf verschiedenem Weg behandelt werden: Einerseits mittels Injektion alle 4 Wochen (Somatostatin-Analoga), was zu einer Verringerung des Lebervolumens um 5-10% führt, und andererseits mittels Operation (Teil der Leber entfernen oder Lebertransplantation). Bernts merkte an, dass die Einnahme von Östrogenen bei polyzystischer Lebererkrankung vermieden werden sollte, da diese das Lebervolumen erhöhen.
- Zysteninfektionen – Diese führen zu starkem Fieber und Bauchschmerzen. Hier sei eine Antibiotika-Behandlung von 6 Wochen angezeigt. Dies ist länger als bei anderen Infektionen, hat sich aber als hilfreich erwiesen, um eine erneute Infektion zu verhindern.
Bernts betonte abschliessend, dass die Behandlung auf den/die jeweilige/n PatientIn abgestimmt und ein Leberspezialist involviert werden sollte.
Ron Gansevoort, Nephrologe an der Universität Groningen, Niederlanden, widmete sich in seinem Input-Referat dem Thema Schmerzen bei ADPKD. So hätten 60% aller ADPKD-PatientInnen Schmerzen, dennoch würde die Thematik vielerorts vernachlässigt. Schmerzen bei ADPKD gründen nach Gansevoort auf zwei Ursachen: einer Ausdehnung der Nierenkapsel oder der Kompression von umliegendem Gewebe. Bei einem erhöhten totalen Nieren- und Lebervolumen (Kombination) sei die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass Schmerzen auftreten.
Zur Behandlung der Schmerzen gebe es sowohl pharmakologische als auch invasive Möglichkeiten, wobei nach Gansevoort zwischen symptomatischer Behandlung und Ursachenbehandlung unterschieden werden müsse. Eine symptomatische Behandlung sei z. B. die Gabe von Analgetika oder Antibiotika im Falle einer Blutung oder einer Infektion. Zur Ursachenbehandlung habe sich in bestimmten Fällen Tolvaptan als hilfreich erwiesen. So verringere das Medikament die Häufigkeit von akuten Schmerzereignissen um 30-40%.
Eine weitere Möglichkeit der Ursachenbehandlung bei PatientInnen mit sehr starken Schmerzen sieht Gansevoort in der Blockade bestimmter Nerven. Gansevoort erklärte, dass die beiden bei ADPKD typischen Schmerzursachen im Körper jeweils andere Routen hätten – und dass beide hierfür verantwortlichen Nerven mit einem lokalen Anästhetikum geblockt werden können. Gansevoort berichtete, dass sich bei 80% seiner mit einer Nervenblockade behandelten PatientInnen nach einem Jahr eine Verbesserung zeigte, wobei bei einem Drittel der PatientInnen die Schmerzen gar nicht mehr zurückkämen. Nervenblockaden fungierten in diesem Sinn wie eine Art «Reset» des Nervs.
Insgesamt empfiehlt Gansevoort eine multidisziplinäre Behandlung von Schmerzen, an der nicht nur Nephrologen und Schmerzspezialisten, sondern auch Gastroenterologen und Chirurgen beteiligt sein sollten. Und: Bei Schmerzen unbedingt auch die Leber untersuchen.
Breakout-Session 4: Genetik und Gentests
Richard Sandford, Consultant in medizinischer Genetik an der Universität Cambridge, England, erklärte in seiner Session, was «autosominal-dominant» bedeutet (Vererbung eines spezifischen Merkmals (dominantes Allel) auf einem Autosom (geschlechterunspezifische Chromosomenpaare 1-22)) und zeigte auf, dass ADPKD meist durch Mutationen in den Genen PKD1 und/oder PKD2 hervorgerufen wird. Diese Gene liegen auf Chromosom 4 und 16 liegen.
Bei Gen-Tests, so Sandford, würden genau diese beiden Gene auf Mutationen untersucht. Dass eine Mutation vorliege, erkenne man daran, wenn es in der Nukleotidsequenz Abweichungen gebe. Die möglichen Mutationen seien mannigfaltig. Je nachdem sind die Mutationen dann signifikant genug, um ADPKD zu verursachen.
Sandford erläuterte, dass in Gentests die Gene PKD1 und PKD2 meist zusammen analysiert werden. Je nachdem, auf welchem Gen die Mutation liege, könne dies einen Anhaltspunkt zum Verlauf von ADPKD geben – so sei die Prognose bei einer Mutation auf Gen PKD2 in der Regel besser.
Sandford betont jedoch, dass nur in 90% der ADPKD-Fälle genetische Mutationen gefunden werden können. Ein Gen-Test sei deshalb nicht das alleinige Mittel, um die Krankheit festzustellen. Darüber hinaus könne es, so Sandford, gut sein, dass andere genetische Mutationen den Verlauf der Krankheit beeinflussen.
Sandford erklärte, dass die Gründe, einen Gentest zu machen, vielfältig sind. Wichtig sei aber vor allem, dass die PatientInnen gut begleitet und beraten werden. Pränatale Diagnostik würde bislang nur sehr selten in Anspruch genommen.
Breakout-Session 5: Nierenersatztherapie
Yves Pirson, Prof. em. der Katholischen Universität Löwen, Belgien, sprach in seinem Referat über das Thema Nierenersatztherapie. So seien 70% aller ADPKD-PatientInnen im Alter von 65 Jahren auf eine Nierenersatztherapie angewiesen.
Die Transplantation mittels Lebendspende sei dabei die präferierte Option der Nierenersatztherapie, denn im Vergleich zur Dialyse ermögliche sie eine bessere Lebensqualität und sei zudem 2-3 Mal kostengünstiger. Pirson empfiehlt, die Transplantation bei mindestens 50% der PatientInnen nach Möglichkeit präventiv zu machen und nicht erst bei vollständigem Verlust der Nierenfunktion.
Bei starken Leberbeschwerden müsse ausserdem eine kombinierte Nieren-Leber-Transplantation in Betracht gezogen werden. Hier merkte Pirson an, dass Leber-Zysten nach einer Nierentransplantation in der Regel wachsen – es sei deshalb wichtig, das Lebervolumen vor der Transplantation zu ermitteln.
Ungeachtet der Tatsache, dass eine Transplantation die beste Option für eine Nierenersatztherapie sei, gebe es immer noch sehr viele ADPKD-PatientInnen, die sich für eine Dialyse entscheiden – sei es, weil sie aufgrund des Alters oder des Allgemeinzustands nicht transplantiert werden können oder weil sie sich der anderen Option nicht bewusst seien.
Hämo- und Peritonealdialyse sind nach Pirson gleichwertige Optionen, wobei letztere bei sehr grossen Nieren vermieden werden sollte.
Zum Abschluss seines Referats sprach Pirson auch von der Möglichkeit der Nephrektomie, also der chirurgischen Entfernung einer Niere. Diese sei zu vermeiden, wenn der/die betroffene PatientIn bereits mehrere Jahre Dialyse hinter sich hätte. Es gebe jedoch Fälle, in denen eine Nephrektomie angezeigt sei, vor allem vor einer Transplantation.
Tom Oostrom, Managing Director der Niederländischen Nierenstiftung, stellte in seiner Session das Projekt der tragbaren künstlichen Niere vor. Diese würde seit 2014 mit zwei Partnern in der Schweiz und in Singapur entwickelt. Ziel: Die Therapie soll sich an das Leben der PatientInnen anpassen – nicht umgekehrt. Die tragbare künstliche Niere soll laut Oostrom bald erhältlich sein.
Für die Zukunft wäre eine Weiterentwicklung in kleinerer Form denkbar. Auch Wearable- und implantierte künstliche Nieren würden in Zukunft sicher ein Thema werden, so Oostrom.
Breakout-Session 6: Forschung verstehen und teilhaben
Genauso wie die Industrie-Vertreter betonte auch Albert Ong, Professor für Nierenheilkunde an der Universität Sheffield und Gründungsmitglied des European ADPKD Forum (EAF), dass die Beteiligung von PatientInnen an der Forschung extrem wichtig sei. Ihm zufolge gebe es drei Bereiche, in denen PatientInnen sich einbringen könnten:
- Register – In jedem Land gibt es Register für spezifische Erkrankungen. Ong empfiehlt, dass PatientInnen bei ihrem Nephrologen diesbezüglich nachfragen, um ggf. auch ins Register aufgenommen zu werden.
- Klinische Studien: www.kofam.ch
- Netzwerke wie z. B. https://www.erknet.org/index.php?id=home
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